Samstag, 9. Januar 2010

You have come to the right place!

Ein Bericht meiner spontanen einwöchigen Reise nach Kopenhagen anlässlich der UN-Klimakonferenz (COP15) im Dezember 2009

Endlich entdecke ich die Eingangstür, irgendwo in dem Graffiti steht „please enter“. „You have come to the right place“ verkündet ein strahlendes Gesicht unter einer bunten Strickmütze, als ich mich nach einem Schlafplatz erkundige. Sie gibt mir eine Führung: Neben dem „Café“ (ein Versammlungsraum mit zusammengestückelten Möbeln und einem riesigen Feuer im offenen Kamin) befindet sich eine Halle, in der zahlreiche frisch kreierte Transparente für diverse Demos ausgebreitet liegen. In der Baracke an der Stirnseite befindet sich die Großküche, wo ich gegen eine Spende veganes Essen bekommen kann. Ein kleiner Hund, der statt Hinterbeinen Räder hat, wuselt um unsere Beine. In einem zweistöckigen Bürogebäude im selben Industrie-Backstein-Look befinden sich die Schlafräume. Der erste Gang zeichnet sich durch einen durchdringenden Grasgeruch und eine Menge Dreck auf dem Boden aus. Überall in den Büros liegen schon Schlafsäcke verteilt. Duschen gibt es nicht. Ich beschließe, das Gelassenheit die angemessene Reaktion auf diese Situation ist und wähle den Raum im zweiten (saubereren) Gang, in dem ich eine Person vorfinde, die nicht unter Drogeneinfluss steht. Sie wird sofort meine beste Freundin. „Am besten suchst du dir irgendwo ein kaputtes Fahrrad und reparierst es in der Kandy-Factory. Dort wurde eine Werkstatt eingerichtet, Bus fahren ist hier viel zu teuer“ erklärt sie mir. Und dass es zwei große Gruppen von Organisatoren des Rahmenprogramms gibt: Das Klimaforum, eine alternative Konferenz, bei der es vielfältige Vorträge, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Filme gibt. Und das Climate Justice Action Network, das jeden Tag Demos und Aktionen plant und uns auch diese kostenlose Unterkunft organisiert hat. Offenbar darf die Polizei das Gebäude nicht betreten, was sie aber nicht daran gehindert hat, in der vorigen Nacht draußen aufzukreuzen und einen Teil der vorbereiteten Demo-Materialien aus den Versammlungsräumen zu beschlagnahmen.
Das mit dem Fahrrad gelingt mir nicht, denn auf mich machen die zahlreichen Fahrräder, die vor den schönen alten Backstein-Wohnblöcken stehen, nicht den Eindruck, als wollten ihre Eigentümer sie loswerden. Im Gegenteil, die Räder wirken sehr gepflegt und vor allem schön. Keine Spur von Geschmacksverirrungen á la Supermarkt-Mountainbike. Statt dessen jede Menge Holland-Räder und sehr stylishe Fahrradhelme, die eher an Skater-Helme erinnern. An den Straßen finden sich breite Radwege von fast zwei Metern, die durch Bordsteinkanten von Fußweg und Straße getrennt sind. Eine wunderbare Fahrrad-Stadt.
Das Klimaforum befindet sich zu meiner Überraschung in einem recht schicken Gebäudekomplex, der ein Hotel, Sportanlagen und ein Schwimmbad beherbergt. Auf letzteres kann man aus einem Glasgang herabblicken und dabei Kinderschwimmkurse und Wassergymnastik beobachten.
Nach dem ersten Tag in den Veranstaltungen bin ich völlig aufgekratzt, inspiriert, bewegt. So viele spannende Menschen, so viele andere Perspektiven auf den Klimawandel und die Welt, so viele Denkanstöße. Niemals hätte ich diese Eindrücke durch Zeitungen, Videos und Texte im Internet gewinnen können. Meine Lektion aus dem ersten Tag: Es gibt sehr viele Menschen, die sich in den Entwicklungsländern gegen den Klimawandel engagieren. Sie spüren ihn schon, jeden Tag, in allen Regionen: Verschobene Jahreszeiten und Klimazonen, Dürren, sich ausbreitende Wüsten, verdorbene Ernten. Diese Erfahrungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Berichte aller Gäste. Logisch und berechtigt, dass sie uns als Verursacher des Klimawandels für ihr Leiden verantwortlich machen. Aber das ist nicht alles: Wir haben nicht nur mindestens 80% des Ausstoßes an Treibhausgasen zu verantworten, weil wir wie unsere Vorfahren Wert darauf legen, in Luxus zu leben. Wir können das nur, weil wir ihre Länder jeden Tag seit der Kolonialisierung ausbeuten. Die ressourcenreichsten Länder, die Ölregionen, z.B. der Kongo gehören zu den ärmsten der Welt. In Südamerika wird den Kleinbauern und indigenen Völkern ihr Land weggenommen, für die Plantagen internationaler Großkonzerne. Sie verlieren ihre Lebensgrundlage, ihre Heimat, sogar das Trinkwasser. Für diese Menschen ist der Kapitalismus der Nachfolger der Kolonialismus, sie sehen sich (zu Recht) als Verlierer des globales Wirtschaftssystems.
Es ist etwas anderes, davon nur zu wissen, oder sich wirklich damit zu befassen. Die Fotos wirkten auf mich verstörend. So genau hatte ich bisher nicht darüber nachgedacht, was es heißt, ganze Landstriche zu Plantagen zu machen. Wie es ist, wirklich dort zu leben, kann sich trotzdem wohl nicht vorstellen. Und mir fällt auf, wie groß der Unterschied ist: Eine große Wut und persönliche Betroffenheit auf Seiten der Südamerikaner. Und die große Distanz, Sachlichkeit und der Humor, mit denen europäische Wissenschaftler das Thema behandeln. Trotz der Gegensätze herrschte im Klimaforum eine großartiges Gemeinschaftsgefühl, getragen von der hilflosen Wut und Verzweiflung gegenüber dem Verhandlungsverlauf. Diese merkte man auch den wenigen Delegierten und den Promis der Szene (wie z.B. Naomi Klein, Vandana Shiva, Wangari Maathai) an, die an den Podien teilnahmen. Für sie war es besonders wichtig, hier offene und solidarische Menschen zu treffen, die ihre Sorgen teilten und nicht als erstes auf das Namensschild schauen. Ihre Berichte von den Machtkämpfen im Bella Center waren sehr deprimierend, besonders im Kontrast zu den Berichten der Wissenschaftler. Diese berichteten genau über den zu erwartenden Tipping Point beim Klimawandel (dazu sei dieses Video wärmstens empfohlen), über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und über die Energienutzung der Zukunft. Einer erzählte diese Geschichte: „Auf einer einsamen Insel lebten Hühner. Die Menge der Würmer und Pflanzen begrenzte die Zahl der Hühner. Eines Tages wurden einige Tausend Fässer Getreide von einem Schiff angespült. Die Inselbewohner wurden dick und fett und vermehrten sich eifrig. Aber irgendwann war das Futter plötzlich aufgebraucht.“ Damit beschrieb er das plötzlich unendlich möglich scheinende Wirtschaftswachstum, das nach der Entdeckung fossiler Energieträger einsetzte. Jetzt fällt uns Hühnern auf, dass die zusätzliche Energie endlich ist. Beängstigend wirkten die Schilderungen von Technologien, die eingesetzt werden könnten, um Öl aus dem Sand zu holen oder Kohle in Öl zu verwandeln. Das Fatale (zusätzlich zur in beiden Fällen gigantischen Umweltverschmutzung) ist, dass, sofern beträchtliche Summen in soetwas investiert werden, sich diese auch lohnen müssen. Also wird auch weiter die Technik gefördert, die das Öl verbraucht. Damit zusammen hängt auch das widersprüchliche Verhalten der westlichen Regierungen, das der britische Journalist George Monbiot folgendermaßen charakterisiert: Eine Abteilung fördert engagiert erneuerbare Energien. Eine andere aber sorgt dafür, dass das Angebot an Öl im eigenen Land möglichst groß bleibt. Die Folge: Die Preise bleiben moderat, Öl verbrauchende Technologien werden weiter gebaut. Zusammen mit den Erneuerbaren steht mehr Energie zur Verfügung als zuvor, was natürlich auch niedrige Preise und einen höheren Verbrauch zur Folge hat. „Das ist, als wenn Sie eine riesige Sahnetorte und zusätzlich einen Salat essen und dann meinen, Sie würden wegen des Salates abnehmen.“ Würden die Verhandlungsführer ihre Bemühungen ernst meinen, müssten sie berücksichtigen, dass die Atmosphäre nur eine begrenzte Menge Treibhausgase verkraften kann. Täte man das, müssten man sofort anfangen, nur noch 60% der möglichen Menge zu fördern. Dann wäre die zentrale Frage, welche Ölvorkommen in der Erde bleiben und nicht wer wieviel Prozent gegenüber welchem Referenzjahr bis wann reduziert. Eine Ölknappheit und ein Preisanstieg kämen von ganz allein, sparsame Technologien und erneuerbare Energien hätten eine Chance und die vorher erwähnten extrem dreckigen Methoden fänden keine Anwendung. Eine wahre Diät also statt Sahnetorte plus Salat.
Jetzt wollt ihr aber sicher noch etwas über die Begegnungen mit der Polizei erfahren. Der kürzer halber werde ich mich auf die aufregendste beschränken. Dazu muss ich erst kurz über Christiania berichten. Christiania ist eine autonome selbstverwaltete Siedlung in Kopenhagen, die seit 1971 besteht und von der Polizei in der Regel nicht betreten wird. Etwa 1000 Leute leben dort, es sieht sehr bunt und lustig aus und am Wegesrand kann man an Verkaufsständen Dinge mit lustigen Namen wie „schwarzer Afghane“ kaufen. Das Zentrum ist ein Zirkuszelt, das von außen mit netten Sprüchen verziert ist, auf einer Wiese mit weiteren Zelten und kreativen Kunstwerken. Überhaupt ist das alles eine Augenweide, leider aber mit Fotoverbot. Drinnen im Zelt war eine nette Party im Gange, als der DJ sagte, dass die Polizei draußen wäre. Das hielt uns zunächst nicht vom Feiern ab. Immer wieder kamen Leute herein, die sich die Gesichter mit Schals verdeckten, weil draußen Tränengas verbreitet wurde und jemand erzählte von einem brennenden LKW. Als plötzlich auch eine große Menge Tränengas ins Zelt eindrang, wurde es dort sehr ungemütlich und wir verließen es durch die Zeltwand im hinteren Bereich. Oberhalb, an der Böschung, sahen wir Polizisten in Gruppen patroullieren. Wir wollten einen Versuch unternehmen, das Gelände zu verlassen und stellten ziemlich schnell fest, das eine Polizisten-Mauer ziemlich nahe stand. Wir überlegten etwas und entschlossen uns schließlich, es einfach zu versuchen. Offenbar sahen wir harmlos genug aus, sie ließen uns passieren und trieben uns zur Eile an. Aber das war noch nicht das Ende: Der ganze Stadtteil war umstellt. Nach mehreren Versuchen befürchteten wir schon, das es eine lange Nacht würde. Irgendwann fanden wir aber heraus, dass es an einer Absperrung eine Chance gab und tatsächlich konnten wir die Metro-Station erreichen und bekamen sogar noch den letzten Bus. An diesem Abend wurden in Christiania etwa 200 Leute festgenommen.
Insgesamt wurden während der Konferenz mehrere Tausend Aktivisten präventiv eingesperrt, bei völlig harmlosen Demos. Damit gelang es der Polizei viele der geplanten Protestaktionen erheblich zu schwächen, da Schlüsselpersonen fehlten. Nur zu protestieren, ohne mich mit den Themen zu befassen, kam für mich aber nicht infrage, ich verbrachte die meiste Zeit im Klimaforum.
Zwischen den Veranstaltungen suchte ich das Essenszelt auf in dem von einer Gruppe gekocht wurde, die sich „Free illegal Seeds“ nannte. Sie verwenden nicht patentiertes Gemüse, das sie selbst gezogen haben und können himmlisch kochen! (Hier ein Video, das die Küche in Kopenhagen zeigt). Sie stehen für die vielen Bewegungen, die die Kontrolle über ihr Leben wieder erlangen möchten, die sich für lokale Versorgung und gegen Agrarkonzerne engagieren, die Gemüsegärten in Großstädten anlegen oder autarke Dörfer gründen. Die Verabredungen mit meinen neuen Bekannten im Essenszelt klappten nie, was mir die Gelegenheit gab, jedes Mal neue Leute kennenzulernen.
Am Ende der Woche fühlte ich mich großartig und ich muss gestehen, dass ich mich fragte, ob das angemessen sein kann, angesichts des Ergebnisses. Aber es hat mir unwahrscheinlich viel Kraft gegeben, so wunderbare Menschen auf einem Haufen zu treffen. Endlos könnte ich weiter erzählen, von Projekten, die sie vorstellten und von den wertvollen Begegnungen. Auch Hoffnung keimte auf, denn man kann sich mit den drängenden Fragen auseinandersetzen, ohne Existenzängste ausstehen zu müssen und ohne dass wir wieder wie in vorindustrieller Zeit leben müssen. Mehrere Wissenschaftler sagten, dass wir nur zwei wesentliche Einschränkungen in unserem Lebensstil vornehmen müssen, damit alle auf diesem Planeten menschenwürdig leben können, ohne ihn zu zerstören: Wir müssen erheblich weniger fliegen und erheblich weniger Fleisch essen. Das sind die beiden Dinge, mit denen ein einzelner Mensch mit Abstand am effizientesten zum Klimawandel beitragen kann. Dass das mit dem Fliegen unpraktisch ist, muss ich selber zugeben. Nicht, dass ich dauernd an irgendwelche Strände fliegen würde, das Bedürfnis habe ich gar nicht. Aber nach diesen bewegenden Begegnungen würde ich wirklich gerne eine Weltreise machen und die ganzen Graswurzelbewegungen besuchen, von denen ich gehört habe. Darüber könnte ich ein Blog schreiben oder ein Buch. Das erscheint mir extrem viel spannender, als am Strand zu liegen. Wer weiß: Vielleicht unternehme ich in den nächsten Jahren ein paar Schiffsreisen! Segeln wollte ich schon immer lernen. Kommt jemand mit?

PS: Die versprochenen Fotos vom Weltkugel-Gesicht.

Hinweis: Dieser Text wurde auch in meinem Blog auf Freitag.de veröffentlicht.